Imszenierter Aufstand im Altenheim

Von Miriam Fehlbus

Filmproduktion in Nottensdorf: Ein Aufeinanderprallen der Generationen


NOTTENSDORF. Sie sind schlank, sie sind hip. Sie sind vom Film. Aber die jungen Hamburger, die für ein Wochenende das Altenpflegeheim "Haus am Wald" in Nottensdorf mit Kameras und Mikrofonen belagern, wirken bei den Drehtagen des arte-Kurzfilms "Mädchenabend" eher wie Fremdkörper. Bei der inszenierten Rebellion der Alten gegen das Altsein spielen andere die Hauptrolle.

"Wir gehen auf Anfang". In Nottensdorf wird es still. "Kamera läuft, Ton läuft" - Schon zum zehnten Mal erzählt Hauptdarstellerin Ursula Werner ihren Witz für die Kameraeinstellung im Altenheim-Garten. "Unterhalten sich zwei Männer. Sagt der eine: Meine Schwiegermutter hat endlich ihr Idealgewicht erreicht. Sagt der andere: Was wiegt 'se denn? 3,2 Kilo, inklusive Urne."

Das gehäkelte Stirnband über die grauen Haare gestülpt, mit Trainingsanzug und lächerlichen rosa Stulpen bekleidet, tippelt die Schauspielerin neben einem Rollator zu Tai-Chi-Gesten über den Rasen. Ihr Einsatz ist perfekt, nur im Hintergrund tuckert ein Gefährt in Richtung Grundoldendorf. Es ist nicht der erste Trecker und auch ein Flugzeug störte schon, weil es im Film dort nicht hingehört. "Danke", brüllt Regie-Assistent Malte Grosche mitten in die Szene. Wenn es besser läuft, hat er ein anderes Wort: "Großartig".

Ursula Werner, 2007 als beste Hauptdarstellerin mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet, nimmt die Wiederholungen gelassen. "Irgendwas ist immer", sagt sie. Die Berlinerin spielt die 74 Jahre alte Altenresidenzbewohnerin "Eva", die für einen Trip in den benachbarten Männerstripclub immer zu haben ist. "Auf die Szene auf der Reeperbahn freu ich mich, das sind zwei knackige Jungs da", sagt Ursula Werner, als Grosche neben ihr hektisch mit den Armen zu wedeln beginnt: "Wir gehen auf Anfang".

Regisseur Timo Becker hat sich Nottensdorf nur als Kulisse ausgesucht, weil es hier für ihn den perfekten Baum gibt. Die alte Kirsche im Vorgarten des Hauses kann eine Schaukel tragen. "Den Baum haben wir per Internetrecherche auf der Seite des Pflegeheims gefunden", sagt Becker, Jungfilmer und "Master of fine Arts". Den Titel hat der Fulbright-Stipendiat an der Film-Hochschule in Los Angeles erworben. Wenn alles gut geht, soll der Film "Mädchenabend" seine Premiere als Wettbewerbsbeitrag bei der Berlinale 2012 feiern.

Klappe. Elfter Versuch. Endlich. "Großartig". Der 78 Jahre alte Ferdinand Hagel schaut auf die Uhr. Seit Mittag sitzt das Dutzend Senioren als Statisten vor Ort, wartet auf den Auftritt. "Die Damen sollen mal was erleben", sagt Hagel, der Hahn im Korb. Die 86 Jahre alte Melitta Grehn und die 83 Jahre alte Hildegard Eskau hat er aus der gemeinsamen Harburger Seniorenwohnanlage mitgebracht. Seine Frau ist nicht mitgekommen. Die hat Besuch, und nun muss sie sich wohl auch um die Goldfische dort kümmern. "Vor einem halben Jahr habe ich die Aufgabe übernommen, seitdem warten die Fische immer um halb sieben auf ihr Futter", sagt Hagel. Die Aufgabe macht er gern, "weil die Langeweile böse Freunde hat - wie Alkohol."

Ellen Margot Stechmann hat fast eine kleine Hauptrolle unter den Statisten. Ganz tüddelig soll die Horneburgerin über die Terrasse und später im Nachthemd über den Flur laufen. Das Schlafgewand, das sie mitgebracht hat, ist etwas Besonderes: "Das hat meine Mutter in ihrer Hochzeitsnacht getragen", verrät Stechmann, "ob das wohl seniorengerecht aussieht?" Die Bluse der 79-Jährigen jedenfalls ist der Maskenbildnerin zu modern. Eine braune Strickjacke muss helfen.

Stechmann, deren Sohn mit Film-Assistent Grosche zur Schule gegangen ist, soll die Sorgen des Alters spielen. Nach Nottensdorf ist sie mit ihrem kleinen Sportwagen gekommen. "Man ist nie zu alt, um nochmal jung zu sein", zitiert Stechmann aus dem "Mädchenabend". Grosche winkt sie herüber. Sie soll senil eine Blume streicheln - "Großartig.

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